Die Decke ist für die Ökobilanz eines Gebäudes entscheidend.
Von: https://senn.com/news/auf-die-decken-kommt-es-an/
HORTUS: Interview zum Deckenwunder aus Holz und Lehm
Die Decke ist für die Ökobilanz eines Gebäudes entscheidend, macht sie doch rund 25 Prozent des CO2 -Ausstosses aus. Aus diesem Grund spielt das Deckensystem beim radikal nachhaltigen Bürogebäude HORTUS eine Hauptrolle. Flachdecken aus Beton sind zwar (noch) am billigsten, haben aber eine sehr schlechte Ökobilanz. Neue Ansätze waren gesucht – gefunden wurden diese im beinahe in Vergessenheit geratenen Baumaterial Lehm, in Kombination mit Holz. Das Ergebnis: Der Anteil der HORTUS-Decke am gesamten CO2-Ausstoss ist nur noch 7.5 Prozent.
In Zusammenarbeit mit Herzog de Meuron, ZPF Ingenieure und Lehm Ton Erde, einem österreichischen Bauunternehmen, das ein Pionier in Sachen Lehm ist, entwickelte SENN ein neuartiges Deckensystem für das HORTUS. Allein die Vorstudie dauerte sieben Monate und beschäftigte ein grösseres interdisziplinäres Team. Das Ergebnis der akribischen Forschungs- und Entwicklungsphase ist eine Holzbalkendecke mit eingestampftem Lehm. Als modulares Deckensystem konzipiert, ist sie transportierbar und wiederverwendbar.
Beim seit Sommer laufenden Bau des HORTUS führt das Ostschweizer Holzbauunternehmen Blumer Lehmann in Zusammenarbeit mit Lehm Ton Erde die Stampflehmarbeiten für die Deckenelemente aus. Im Interview vermittelt die Teilprojektleiterin Bettina Baggenstos von Blumer Lehmann Einblicke in die Entstehung und das Innenleben des HORTUS-Deckensystems, das in Sachen Nachhaltigkeit neue Massstäbe setzt.
Handelt es sich um das erste Holz-Lehm-Deckensystem, das Blumer Lehmann realisiert?
Bettina Baggenstos: In der Vergangenheit hatten wir auch schon Projekte mit Lehm, aber noch nie in dieser Grössenordnung. Insofern ist es für uns eine Premiere. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Lehm Ton Erde, die sehr bereichernd ist. Beide Firmen bringen ihre Expertise ein und entwickeln zusammen Neues. Da Blumer Lehmann erst seit Anfang 2023 im Projekt involviert ist, konnten wir stark vom Vorwissen von Lehm Ton Erde durch ihren früheren Einbezug in die Entwicklung des Deckensystems profitieren. Wir ergänzen uns im Team ideal für das Projekt – sie mit dem Wissen im Lehmbau, wir mit unserer Kompetenz im Holzbau.
Welche Rolle spielt Blumer Lehmann bei der Herstellung des Deckensystems?
Wir produzieren die Deckenelemente in einer Feldfabrik vor Ort in Allschwil. Ziel war es von Anfang an, die Decke seriell herzustellen, besteht sie doch aus 800 Elementen. Aufgrund der kurzen Zeitspanne von Vergabe bis Baubeginn blieb jedoch wenig Zeit, die Produktion zu automatisieren. Den Fokus bei der Entwicklung haben wir auf die Logistik des Materials und die Befüllung der Holzelemente gelegt. Das Stampfen des Lehms wird mit Handstampfern und sogenannten Rüttelplatten erledigt und erfordert viel menschliche Arbeit. So sind zurzeit zehn Personen in der Feldfabrik beschäftigt. Auf zwei Arbeitsplätzen kümmern sich jeweils drei Personen mit Befüllen und Stampfen. Zwei Personen sind für die Vor- und Nachbearbeitung der Elemente verantwortlich und zwei weitere für Logistik, Qualitätssicherung und Mischen des Materials. Wir von Blumer Lehmann nehmen zudem die Schnittstelle zu SENN und dem Planungsteam wahr.
Welches Holz eignet sich am besten für ein solches Deckensystem?
Die Primärträger bestehen aus Buche, die Sekundärträger aus Fichten. Die Vollholzträger sind Tannen – das bedeutet, dass diese Träger aus einem Stamm gefertigt und nicht verleimt werden. Auch die Dreischichtplatten werden aus Fichte und Tanne hergestellt. Diese beiden Holzarten stammen primär aus der Ostschweiz, die Buchen mehrheitlich aus der Westschweiz. Während das Fichtenholz unbehandelt ist, musste das Buchenholz mit einem Feuchteschutz behandelt werden, da es stark auf Feuchtigkeit reagiert.
Welche Art von Holzbausystem kam zur Anwendung?
Die Sekundärträger liegen auf den Primärträgern auf. Über Verschraubungen mit der Dreischichtplatte werden die Elemente fixiert. Buche hat eine höhere Festigkeit als Fichte, ist tragfähiger und brennt zudem langsamer. Der Lehm wiederum schützt die Dreischichtplatte vor Feuer. Der Lehm trägt nur sich selbst und hat abgesehen vom Brandschutz keine statische Funktion im System. Über die angeschrägten Balken bildet sich ein Lehmgewölbe, welches seitlich aufliegt.
Auf was wurde bei der Verarbeitung des Lehms geachtet?
Die lehmige Deckschicht wurde in 10 cm dicken Schichten ausgehoben und danach gesiebt. In der Folge wurden die lehmige und sandige Schotterschicht zusammen durch einen Brecher gelassen, um die grösseren Steine zu zerkleinern. So aufbereitet, wird der Aushub im Trockenlager neben der Feldfabrik gelagert. Dieser wird nun portionenweise gemischt für die finale Stampflehmmischung. Total stammt 76% der finalen Mischung aus dem Aushub, 24% sind zugekaufter Mergel aus der Region.
Welche Besonderheiten mussten während der Produktion beachtet werden?
Um die Qualität zu gewährleisten, muss die Stampflehmmischung stets mit der richtigen Feuchtigkeit eingebracht, gleichmässig gefüllt und verdichtet werden. Dabei sind das Wissen und die Erfahrung der einzelnen Produktionsmitarbeitenden in der Ausführung sehr wertvoll. In der Vorplanung lag unser Fokus auf der Entwicklung der Mini-Beschicker und der Logistik des Materials. Die Investitionen in Maschinen wurden so ausgelegt, dass diese auch in weiteren Projekten verwendet werden können. Aktuell verfeinern wir das Vorbereiten der Elemente für den Stampfprozess und arbeiten an weiteren Optimierungen. Aufgrund des Pilotprojekt-charakters befinden wir uns gleichzeitig in der Produktion und arbeiten parallel an der Weiterentwicklung der Abläufe. Es bleibt also weiterhin spannend.
Weiterführende Links:
Projekt HORTUS
https://www.hochparterre.ch/nachrichten/themenfokus/irb-6700-und-der-dreck
So kommt das Schweizer Holz ins HORTUS
https://senn.com/news/kreislaufbauen-lll-hortus-und-das-holz/
HORTUS – Leuchtturmprojekt des Kreislaufbauens
https://senn.com/news/kreislaufbauen-ii-kreislaufbauen-in-der-praxis/